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Drago Jancar gilt als der wichtigste Romancier Sloweniens. In seinem neuen Roman „Wenn die Liebe ruht“ setzt er sich mit der Diktatur der Nazis und dem Widerstand dagegen auseinander, einer Epoche der slowenischen Geschichte, an der sich noch heute die Geister scheiden. Immer wieder laufen die Fäden des komplexen Textes in Graz zusammen.
„Wenn die Liebe ruht“ beginnt meisterlich: Ein allwissender Erzähler beschreibt die Fotografie, die auf dem Buchcover abgebildet ist, als trete er und mit ihm die Leserin in einen Film. Idylle auf den ersten Blick - zwei junge Frauen unterhalten sich, während Passanten vorübereilen -, Idylle, die im Nu in ein Bild von Angespanntheit und Bedrohung kippt: ein Mann in SS-Uniform kommt aus einer Ecke der Aufnahme und befindet sich auf dem Weg in ihr Zentrum, die Beschriftung an der Fassade des abgebildeten Gebäudes hat sich geändert, das Hotel Orel ist zum Hotel Adler geworden, das Wort Restavracija zu Restaurant.
Bald wird der zeitliche Rahmen deutlich, Maribor heißt Marburg und ist Teil des von den Nazis annektierten Gebiets, das wieder deutsch gemacht werden soll, wie es Hitler in seiner Rede im April 1941 in Maribor gefordert hatte. Widerständige Slowenen und Sloweninnen werden nach Serbien und ins Deutsche Reich zur Zwangsarbeit verschleppt, wer in den Verdacht gerät, die jugoslawischen Partisanen zu fördern, wird hingerichtet; die Todesurteile werden zur Abschreckung in der Stadt plakatiert.
Aus unterschiedlichen Perspektiven und auf Differenzierung bedacht lotet Drago Jancvar mit den Mitteln der Literatur aus, wie weit Menschen in diesem Kontext zu gehen bereit sind und wie Krieg und Diktatur Beziehungen ändert und Liebe zerstört. „Der Krieg“, sagt er, „verändert alles, die Leute werden anders, sie sind fürchterlich ängstlich und manchmal auch außerordentlich tapfer. Zudem formen sich alle Beziehungen neu (…). Ich kenne Leute, die in Gestapo Gefängnissen waren, die sich den Partisanen anschlossen, die nach dem Krieg schreckliche Taten begingen, Dinge, die man ihnen unter normalen Umständen in gewöhnlichen Zeiten nie zutrauen würde.“
Das Handeln der Figuren wird von der historischen Situation diktiert, auch wenn sie selbstverantwortlich zu agieren versuchen. Es gibt keinen Anspruch auf Gerechtigkeit, keine Belohnung für ein Opfer, keine Liebe für die Liebe. Stattdessen wird sinnlos gestorben, oder man überlebt, gezeichnet und ebenfalls sinnlos.
Die junge Medizinstudentin Sonja, eine der zwei Frauen auf der Fotografie, erkennt im SS-Offizier Ludek wieder, der sie als Kind beim Skifahren aus dem Schnee gezogen hat. Ludek heißt jetzt Ludwig und ist ein überzeugter Nazi. Sonja wird ihn um Hilfe für ihren inhaftierten Freund Valentin bitten und einen schrecklichen Preis zahlen. Doch Valentin, der bei den Partisanen kämpft und später im Kommunismus Karriere macht, ist unfähig, ihren Einsatz als das zu erkennen, was er ist, großherzige Tat.
In diesen Plot knüpft Drago Jancvar ein Netz von historischen Bezügen, die dem Roman seine Vielschichtigkeit verleihen. Die Umbenennungen der slowenischen Straßennamen in deutsche werden auf den Gängen durch Marburg geschildert, die Auswirkung der Rassengesetze auf die Stadt beschrieben, die zynisch anmutende Engpässe in der Verwaltung der NS-Tötungsmaschinerie geschildert. Und immer kommt dabei Graz, die Stadt des Hasses, in den Blick, dort oben hatten sich vor dem Krieg all die Jahre diejenigen versammelt, die im Jahr 18 enttäuscht aus Maribor weggegangen waren, allerlei Beamte der alten österreichischen Verwaltung, Juristen, ausgediente Soldaten, aber auch allerlei Taugenichtse, die auf ihren Moment warteten, in den Gasthäusern hockten und in Sälen ihre Heils riefen. (S. 165)
Die Figuren definieren sich und ihre Beziehungen auch über Gedicht-Zitate und Lieder, Sonja und Valentin schicken einander Verse von Gradnik und Macha, die Nazis stimmen Unsäglichkeiten von Kernstock an, Lasst die wilden Slawenheere/Nimmermehr durch Marburgs Tor, oder verwenden Goethe-Zitate, die dem Nazi-Bildungskanon entsprechen.
„Wenn die Liebe ruht“ zeigt die Diktatur der Nazis und den Widerstand dagegen, ohne sich auf eine antagonistische Struktur festzulegen. Verrohung, Folter, Terror und Wahnsinn haben im Nationalsozialismus Methode, aber auch die Partisanen-Bewegung ist nicht frei davon. Im Willen zur Differenzierung wird Drago Jancvars Roman „Wenn die Liebe ruht“ zu einem großen Buch.
Birgit Pölzl