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Es sind zwei Freunde mit einer außerordentlichen spirituellen Tiefe, die den Montag der Karwoche im KULTUM bestimmen – und es ist damit nicht nur eine Buchpräsentation. Vielmehr setzt das Setting dazu an, als würde man eine andere Zeit in die Gegenwart tragen. Eine Zeit, die geprägt war vom Aufbruch in der Kirche, von einer geistigen Weite, von einer unerhörten Autonomie. Insofern ist es auch ein wenig so, als ob man mit den zwei Symbolfiguren des Abends das Ostern des kirchlichen Aufbruchs nach dem Konzil in die Karwoche einer bröckelnden Kirche der Gegenwart trüge.
Philipp Harnoncourt, der der Endlichkeit des Alterns atemberaubend trotzt, trifft auf die acht Jahre jüngere Radiolegende Hubert Gaisbauer: Diesem verdankt der österreichische Hörfunk unzählige Innovationen. Der Autor war Mitbegründer von Ö3 und von Ö1, Erfinder zahlreicher Radioformate und langjähriger Chef der Religionsabteilung in Ö1. Seine sprachlichen Tiefenbohrungen sind in kurzen Texten nun in einem Buch versammelt, das den Titel „schonungslos zärtlich“ trägt. Sie sind in ihrem Ansatz, ihrer gedanklichen Breite und Schönheit seltsame Erinnerungsdiamanten in einer kirchlichen Gegenwartssprache.
Was Hubert Gaisbauer unter „schonungslos zärtlich“ versteht, entnimmt man der Begegnung mit der Malerin Marie-Louise von Motesiczky in London 1986. Der Autor beschreibt dabei ein Portrait der hochbetagten, lebenden Mutter der (damals bereits 70 jährigen!) Malerin, die sich zeitlebens für sie aufgeopfert hatte. 50 Jahre lang war die aus dem Wiener Großbürgertum stammende Frau, deren Mutter als „Fall Cäcilie M.“ des jungen Dr. Siegmund Freud in die Geschichte der Psychoanalyse eingegangen war, im Exil gewesen; sie hatte es nie verkraftet. Der wohl bekannteste Kunsthistoriker Ernst Gombrich stellt die Mutterbilder Motesiczkys neben jenem berühmten von Albrecht Dürer. „Für die Kunst zu altern brauchen wir die Kunst“,
regt Gaisbauer in einem Text an, denn Altern heißt in unserer Gesellschaft noch immer verstummen. Kahlköpfig ist diese gemalte alte Frau Motesiczkys, große Augen hat sie, die Grenze von männlich-weiblich verschwimmt, eine „transzendente Nüchternheit“ macht sich breit. „Mit der visionären Aufmerksamkeit des Gesichts verbindet sich eher das Erscheinungsbild eines asketischen Zen-Meisters als das einer hinfälligen Frau.“ Der Autor sieht in ihnen „eine anschauliche Lektion vor dem Hintergrund von Pflege-Debatten und Hospiz-Bemühungen“.
Zärtlichkeit, sagt der 80-jährige Autor, sei aus dem Diskurs der Gegenwart verschwunden und er beruft sich dabei auf Papst Franziskus, der eine „Theologie der Zärtlichkeit“ einmahnte. Umso beharrlicher sind dabei seine Texte, die durchgehend von einer Seite der Geschichte, ihrer Kultur, Kunst und Religion erzählen, die etwas Helles haben bzw. die das Helle daran hervorbringen wollen. Keine Ironie, keine Bitterkeit, auch keine Kritik. Text für Text – schön. Niemals aber: betoniert, borniert, bemüht. Und schon gar nicht: flach. Sie waren schon einmal für ein breites Publikum im Radio verfasst. Und man merkt ihnen an, dass der Autor etwas Schönes erzählen will.
Das Buch enthält Kulturgänge ganz unterschiedlichen Ausmaßes und historischer Weite. Während des Studiums arbeitete der junge Germanist zunächst als Fremdenführer im Stephansdom: Nirgendwo könnte er also auch Jahrzehnte später mehr sein Können unter Beweis stellen, als unter dem „Riesentor von St. Stephan“, welches das Buch eröffnet.
Die ältesten Verbindungen beziehen sich auf Texte der Bibel, freilich auf eher unbekannte. Besonders schön: Die Nacherzählung des Buches Tobit aus dem Ersten Testament. Eine barocke Liebesmystik wird schließlich mit Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694) und ihrem „Deoglori“ ausgegraben. Einer spirituellen Gartenkunde weiß sich der Vater des leidenschaftlichen Weinbauers Gaisbauer jun. (in dessen Weinberg in Krems auch Harnoncourt seine Trauben liest und gemeinsam Weine macht) in einem anderen Text verpflichtet und spaziert über das Paradiesgärtlein eines oberrheinischen Meisters zum Kreuzesbaum, dem Garten des Ostermorgens oder zu den Früchten des Hohen Lieds.
Der „Kuss unter der Goldenen Pforte“ von Giotto in der Arena-Kapelle in Padua ist wohl eines der innigsten Liebesbilder eines alternden Paares, die je gemalt worden sind und er wird zum Nachdenken über Zärtlichkeit „nach so vielen Jahren des gemeinsamen Alltags, auch des Streits, der Enttäuschungen und Krisen, der Gewohnheit und des körperlichen Verblühens.“
Auch das Weinen fehlt in diesem Buch nicht, und vor allem auch nicht die Projektion von Trauer in die Bilder christlicher Passionsgeschichte. Am Maler Pontormo (1493-1557) etwa wird die Angst eines ganzen Jahrhunderts sichtbar, großartig die Kreuzabnahme – nicht nur jene des späten Meisters der Renaissance, sondern auch jene Rogier van der Weydens, mit dessen Detailaufnahme der weinenden Maria die Betrachtung zum „Stabat Mater“ vorangestellt wird. Alte Texte, Hymnen, Bilder – sie sind es für Gaisbauer wert, neu und schön erzählt zu werden. Das ist – sehr oft sogar – berührend, man kann sich als Leser nicht entziehen.
Aber es sind auch große KünstlerInnen der Moderne, die Gaisbauer sprachlich eindrucksvoll zum Leuchten bringt: Alberto Giacometti, Georges Rouault, Ernst Barlach, Paula Modersohn-Becker, aber auch die Dichterinnen Else Lasker-Schüler, Christine Lavant, Ilse Aichinger.
Gaisbauer scheut sich auch nicht, ein Kapitel über Poesie und Religion „Die Süße der Schrift“ zu nennen, freilich dabei Ingeborg Bachmann zitierend, die in Folge von Simone Weils Satz nach dem vernichtenden Krieg „Das Volk braucht Poesie wie Brot!“ in der Frankfurter Poetikvorlesung forderte: „Dieses Brot müsste zwischen den Zähnen knirschen und den Hunger wieder erwecken, ehe es ihn stillt.“ Wie aktuell dieser Satz unter gänzlich umgekehrten Vorzeichen doch heute ist, wo der Hunger nach geistiger Nahrung so ganz vergessen scheint.
Gaisbauer, der Verfasser dieser schönen Texte, beginnt allerdings sein Buch mit dem Vorwort: „Ich bin ein Moralist.“ Damit meint er eine „leidenschaftliche Stellungnahme zu Mensch und Gesellschaft“. Fragt man ihn nach dem Heute, so macht ihn die aktuelle Regierung wütend und traurig – vor allem im „Zynismus einer Regierungspartei, dass die Fremden an allem Schuld sind. [...]. Die Rückkehr zu unseren Nationalismen und zu unseren Suppentellern, in die uns niemand hineinspucken soll, regt mich auf“ (Kurier, 3.2.2019). Ein 88- und ein 80-Jähriger sprechen so an diesem Abend! Das Mittel gegen die Traurigkeit, so findet man es an anderer Stelle, sei die Geduld. Ob das reicht? Jedenfalls haben es die beiden großen Freunde dieses Abends von Johannes XXIII., dem Papst, der den Aufbruch in der Kirche damals möglich machte. Für viele ist der Geduldsfaden in der derzeitigen Situation von Kirche und Gesellschaft freilich längst gerissen.
Johannes Rauchenberger