Die Diözese Graz-Seckau, 1218 gegründet, umfasst 388 Pfarren. Diözesanbischof ist seit 2015 Wilhelm Krautwaschl. Mehr zur Diözese
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Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Kunstuniversität Graz wurde im Presbyterium des Grazer Doms ein Baugerüst errichtet um darauf zu musizieren. Um das Spektakel, das sich den Besuchern des Grazer Doms vom 03.-05.07.2025 bot, zu erklären, müssen wir in das Jahr 1564 zurückblicken.
Der Tod Ferdinand I im Jahr 1564 bewirkte die Aufteilung des Habsburgerreichs und somit etabliert sich neben den Höfen in Innsbruck (Ferdinand von Tirol) und in Wien (Maximilian II) auch wieder ein Hof in Graz unter Karl II und später Ferdinand von Innerösterreich. Die südliche Lage des Hofs brachte große politische Verantwortung mit sich und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen beeinflussen auch die Musik am Hof. Die starke Präsenz der evangelischen Gemeinde machte die Gegenreformation zu einer der Hauptaufgaben Karls II, die er durch die Etablierung der Jesuiten in Graz voranzutreiben hoffte. Durch die von ihnen gegründete Jesuitenuniversität (heute Komplex des Priesterseminars) wurde Graz zur Universitätsstadt, deren Status u.a. auch durch die Universitäts- und Hofdruckerei, die 1585 eingerichtet und 1806 von Leykam übernommen wurde, bestätigt wurde. Die Ankunft des Hofs machte die damalige Stadtpfarrkirche St. Ägidius zuerst zur Hofkirche, die durch die Jesuiten bald darauf auch zur Ordens- und Universitätskirche wurde. Die vielfältige Funktionalität des Gebäudes spiegelt sich in der Baugeschichte wider.
Die geografische Nähe zu Italien beeinflusst die Musik am Grazer Hof maßgeblich. Während aus Wien 1564 unter Hofkapellmeister Johannes de Cleve noch hauptsächlich deutsche und franko-flämische Sänger nach Graz kamen, wurde die Italianisierung der Hofkapelle ab 1570 durch die Anstellung von Annibale Padovano als Hofkapellmeister der Hofkapelle rasch vorangetrieben und der italienische Stil in Graz zur Norm. Neben der angenommen Überlegenheit der italienischen Musik war es auch die grundsätzlich katholische Ausrichtung der Italiener, die sie in Graz besonders willkommen machten.
Einer der italienischen Einflüsse zeigt sich in der besonderen Vorliebe für die mehrchörigen Musikpraxis. Essenziell dafür war der Lettner, der in Graz 1616 abgetragen wurde. Diese Abgrenzung zwischen Presbyterium und Langschiff kann von einem simplen Gitter bis hin zu massiv ausgebauten „Brücken“ jede Form annehmen und war zentraler Ort des Musizierens. Darauf war oft – so bis 1602 auch in Graz – eine Orgel untergebracht und in den Arkaden fanden gestiftete Altäre Platz. Das Konzil von Trient (1545-1563) fordert die vollständige Sicht auf den Altar, weshalb Lettner danach vermehrt entfernt wurden.
Hier hakt das Forschungsprojekt Performance Practice at the Graz Court around 1600 ein und ergänzt die musikhistorische Auseinandersetzung mit dem Thema mit den Methoden des Reenactments und neuesten Vermessungstechniken. Dabei wird der Dom akustisch und visuell vermessen und digital in einen Zustand um 1600 zurückversetzt; besonders wichtig ist dabei die Integration des Lettners. Mit diesem Modell lässt sich die Akustik zur Zeit der Habsburger simulieren. In einer Art Computerspiel wird man sich nach Abschluss des Projekts durch den virtuellen Dom bewegen und dabei Musik hören und sehen können, wie sie um das Jahr 1600 möglicherweise erklungen ist. Des Weiteren wird dieser Prozess musiksoziologisch begleitet. Neben schriftlichen Quellen wie Inventarlisten und Reiseberichten werden auch musikalische Quellen wie Chorbücher und Notendrucke der am Hof angestellten Musiker herangezogen. Besonders wichtig ist es, die leider nur zum Teil erhaltenen historischen Räumlichkeiten in die Forschung miteinzubeziehen. In diesem Fall ist die Domkirche, wenn auch nicht im originalen Zustand, vorhanden, es fehlt aber ein zentraler baulicher Aspekt: Der Lettner. Deswegen wurde dieser im Rahmen des Forschungsprojekts durch das errichtete Baugerüst nachempfunden, wenngleich die Position aufgrund der Stufen zum Altarraum, die ein Aufstellen eines solchen Gerüsts nicht sicher gemacht hätten, ein wenig nach innen verlegt wurde. Dieser umfassende Zugang ermöglicht es, ein möglichst vielseitiges Bild der Musikpraxis zu gewinnen - und hier kamen die Besucher*innen und Besucher des Werkstattkonzerts am 05.06. ins Spiel.
Studierende des Instituts für Alte Musik und Aufführungspraxis und der Schola Cantorum Basiliensis musizierten das Kyrie aus der Missa Sine Nomine von Alessandro Tadei (ca. 1558-1667), der ab 1606 als Hoforganist in Graz angestellt war. Er unternahm mehrere Reisen nach Venedig, wo er u.a. bei Andrea Gabrieli studierte. Die vierchörige Messe besteht aus insgesamt 16 Stimmen, die in vier Chorbüchern notiert sind. Dafür wurden hohe Notenständer verwendet, vor dem sich die - in diesem Fall jeweils vier - Musiker versammelten. Die vier Chöre waren auf den beiden Emporen und dem Lettner verteilt und imitierten so die historische Musiziersituation. Der rein vokal besetzte Chor, die sogenannte Capella, fand sich auf der rechten Empore gemeinsam mit der Orgel ein, gegenüber stand der Hochchor, der mit Violine, zwei Zinken und einem Gesangssolisten besetzt war. Die beiden tiefen Chöre - einer mit drei Posaunen und Gesang und einer mit drei Violone, Theorbe und Gesang - wurden am Lettner positioniert. Geleitet wurde die Musik von einem tactusschlagenden Dirigenten, die Musiker*innen sehen also nur den Grundpuls der Musik und keinerlei musikalische Anweisungen. Das Publikum hatte nun die Aufgabe, dieses Kyrie einmal aus der Sicht des Volkes im Langschiff, einmal aus Sicht des Klerus im Presbyterium und einmal aus Sicht des Adels in der Friedrichskapelle zu hören und die Wahrnehmungen in einem Fragebogen festzuhalten.
Das Forschungsprojekt läuft noch bis Ende September 2026 an der Kunstuniversität weiter. Erste Ergebnisse und Diskurse werden auf einem internationalen Symposium im Mai 2026 präsentiert.
Ein herzliches Danke und vergelt's Gott´geht an Dompfarrer Ewald Pristavec und die Mesner des Doms, die den Auf- und Abbau sowie unsere Probenphase und das Werkstattkonzert mitbetreut und ermöglicht haben.
Bildbeschreibung (Alle Fotos stammen von Martin Rainer.)
11: Im Einführungsgespräch vor dem Werkstattkonzert wird das Vorgehen erläutert.
13: Das Publikum studiert die Fragebögen, die im Anschluss ausgewertet werden und wichtige Informationen zur Hörerwahrnehmung geben.
19: Posaunenchor.
26: Das Geschehen von der obersten Empore aus.
31: Capella und Tiefchor bei der Arbeit.
36: Der Blick vom Langschiff auf das Gerüst mit den zwei tiefen Chören.
48: Das Gerüst aus der Perspektive des Hochaltars.
55: Das Projektteam v.l.n.r. Elisabeth Frauscher (Raumakustik, Technik), Susanne Sackl-Sharif (Musiksoziologin), Juliane Oberegger (Musikwissenschaftlerin), Bernhard Rainer (Projektleitung)