Ein Ort der ungeschuldeten Barmherzigkeit Gottes
Haben Sie ein Lieblingsbuch in der Bibel?
Für mich ist es das kleine Büchlein Jona. Nur vier Kapiteln, in 10 min. ausgelesen und doch ist für mich diese märchenhafte, fromme Erzählung eines Schriftgelehrten über die Barmherzigkeit Gottes ein eigener Kosmos der Ermutigung und Bestätigung.
Jona, den kennen wir ja alle: Das ist der Prophet, der keine große Botschaft hat – er hat nur einen Satz zu verkünden: Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört! Jona, das ist der Prophet, der vom Fisch verschluckt und wieder ausgespien wird, weil er zuerst genau das Gegenteil von dem tut, wozu Gott ihn beruft. Ein Prophet, der Gott davonlaufen will. Jona bestens Falls eine Karikatur eines Propheten. Und gerade dieser seltsame Prophet hat den größten Erfolg, den sich ein Prophet nur erträumen kann, und wird nicht froh damit.
Drei Anmerkungen zu diesem 3. Kapitel, das wir heute als Lesung gehört haben:
- Ninive, ist nicht irgendeine Stadt. Sie liegt im Norden des heutigen Irak am linken Ufer des Tigris. Heute ist dort die Stadt Mossul. Sie ist eine der ältesten Städte der Welt. Der Höhepunkt dieser Stadt war im 7. Jh. vor Christus als sie Hauptstadt des Assyrischen Reiches war. 12 km lang war damals die Stadtmauer und prächtige Paläste gab es dort. Sie war 750 Hektar groß. Aber der Glanz vergeht: 612 v. Chr. wurde sie von den Babyloniern erobert und verfiel. Also als die Geschichte über Jona erzählt wurde, war die Stadt schon lange Geschichte, seit Jahrhunderten ein Trümmerhaufen. Die Assyrer waren zu ihrer Zeit nicht nur mächtig sondern galten auch als besonders grausam. Man sagt ihnen nach, sie hätten die Kreuzigung erfunden. In der Bibel ist Ninive ein Synonym für Schlechtigkeit und Brutalität, genauso wir Babylon in der Apokalypse des Johannes.
- Und genau von dieser Stadt wird gesagt, dass sie sich bekehrt. Unglaublich, unmöglich für jüdische Ohren, die diese Erzählung hörten. Der einfache Satz: Und die Leute von Ninive glaubten Gott! ist revolutionär, ja fast ein Skandal. Hunderte Male wird in der Bibel, gerade bei den Propheten, davon erzählt, dass Israel nicht glaubt, dass viele Nachbarvölker nicht glauben, dass die Menschen allgemein und manche im Besonderen ungläubig sind.
Im 1. oder Alten Testament kenne ich nur drei Stellen in denen ausdrücklich betont wird, dass jemand glaubt: Das ist im 15. Kapitel des Buches Genesis, Vers 6. Von Abraham, dem Vater des Glaubens wird gesagt, dass er Gott glaubt, als dieser ihm verheißt, dass er – der alte, impotente Mann – noch Vater von ganzen Völkern werden soll. Ein zweites Mal ist vom Glauben die Rede, als das Volk Israel das machtvolle Wirken Gottes gesehen hat, als sie am Roten Meer vor der stärksten Armee der damaligen Zeit fliehen konnten und gerettet wurden. (Ex 14, 31)
Und das dritte Mal ist hier im Buch Jona davon die Rede, dass Ninive Gott glaubt auf die Predigt des Jona hin. Die verruchten Verbrecher von Ninive werden also dem Vater des Glaubens Abraham und dem auserwählten Volk Israel gleichgestellt. Sie glauben Gott. Ein theologischer Skandal!
- Die Spitzenaussage liegt im letzten Satz des Kapitels: Gott reute das Unheil, das er ihnen angedroht hatte, und er tat es nicht. Jon 3,10
Eigentlich müssten wir diesen letzten Satz als ersten lesen und das ganze Kapitel von hinten lesen. Gott ist kein Polizist oder Strafrichter, der nur darauf wartet, dass die Menschen sündigen oder ein Gesetz übertreten, um dann die Übeltäter zu verurteilen. Im Gegenteil, er ist die Quelle des Erbarmens und der Vergebung. Durch ihn wird Versöhnung möglich. Sein Herz dreht sich in ihm um, wie es beim Propheten Hosea heißt. Gott liebt grenzenlos. Die Bekehrung Ninives ist nicht der Erfolg des Jona, sondern die Folge dieser ungeheuren Zuwendung Gottes. Jona muss erst mühsam lernen, das zu akzeptieren. Das hören wir, wenn wir das vierte Kapitel noch lesen. Diese Botschaft der verzeihenden Liebe Gottes ist so großartig, dass sie immer wieder erzählt werden muss. Diese Liebe Gottes zu uns ist für alle - im wahrsten Sinne des Wortes – wie Weihnachten und Ostern zusammen.
Unser Papst Franziskus hat in seiner ersten Enzyklika „Evangelii Gaudium“ diesen biblischen Grundgedanken des Buches Jona so entfaltet: Die Kirche muss der Ort der ungeschuldeten Barmherzigkeit sein, wo alle sich aufgenommen und geliebt fühlen können, wo sie Verzeihung erfahren und sich ermutigt fühlen können, gemäß dem guten Leben des Evangeliums zu leben.
Das Buch Jona ist also nicht nur eine unglaublich wohltuende Botschaft für uns sondern ein pastorales Grundkonzept für unsere Kirche und für unsere Pfarrgemeinden.
Darum lege ich Ihnen dieses Büchlein ans Herz. Lesen Sie es heute noch, es dauert höchstens 10 min. Aber eine kleine Warnung: Das Buch Jona nachdenken und nachfühlen dauert ein Leben lang. ;) AMEN!