Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein
Der Präsident eines wirtschaftlich wohlhabenden Landes sieht sich plötzlich mit einer Vielzahl von Flüchtlingen an seinen Grenzen konfrontiert, die alle zu einer Volksgruppe gehören. Sie sind aus einem sehr unfruchtbaren Land gekommen und schlagen jetzt am Grenzfluss ihre Zelte auf. Die Bevölkerung befürchtet, dass diese Neuzugezogenen ihr Land schädigen und kahlfressen wie die Heuschrecken. Auf Grund des politischen Drucks von unten, entschließt sich der Machthaber des Landes einen sehr bekannten Fernsehjournalisten aus dem nahen Ausland zu engagieren, der für seine reißerischen Stories bekannt ist und damit schon oft die Stimmung im Land um-drehen konnte. Er soll durch gezielte Fake News die öffentliche Meinung gegen diese Flüchtlingsbewegung aufbringen, damit man diese ungebetenen Ankömmlinge leichter abschieben kann.
Der Journalist ziert sich zunächst, willigt aber gegen eine sehr hohe Summe doch ein, dieses schmutzige Geschäft zu erledigen.
Doch dann geschieht etwas völlig Unvermutetes: Nachdem sich der berühmte Medienstar mit den Flüchtlingen auseinandergesetzt hat, veröffentlicht er eine sehr differenzierte und ausgewogene Reportage. Er zeigt die Fluchtgründe auf und vermittelt glaubwürdig, dass diese Gruppe gar nicht vorhat, im Land zu bleiben, sondern eigentlich nur auf der Durchreise ist in ein anderes Gelobtes Land.
Der Präsident tobt zwar, aber der gesellschaftliche Friede ist durch diese Reportage wiederhergestellt.
So oder so ähnlich würden wir heute die Erzählung über den Seher Bileam aus dem Buch Numeri, dem vierten Buch der Bibel, wiedergeben. Aber woher kommt die Meinungsänderung bei diesem großen Meinungsmacher, beim Seher Bileam?
In dem Abschnitt, den wir heute zum Schutzengelfest als Lesung gehört haben, werden wir mit einer ganz besonderen Vorstellung von Schutzengeln konfrontiert. Diese Perikope ist ein Beispiel der Pädagogik Gottes.
Zuerst schauen wir auf Bileam. Er ist der berühmte Seher, ein spiritueller Meister, der zwar nicht zum Gottes Volk Israel gehört, der aber Adonai, den Gott Israels, anerkennt und genau auf seine Weisungen achtet. Von Bileam wird gesagt, wen er segnet, der ist wirklich gesegnet und wen er verflucht, der ist wirksam verflucht. Er wird vom Moabiterkönig gerufen, um das Volk Israel, dass auf seiner Wüstenwanderung durch Moab durchzieht zu verfluchen, damit es besser bekämpft und vertrieben werden kann. Bileam muss aber lernen, dass Gott ganz andere Pläne mit ihm vorhat. Er soll Israel segnen und er wird es segnen. Dafür stellt Gott ihm Seinen Engel in den Weg. Er, der große Seher, sieht diesen Engel aber nicht. Seine Eselin sieht mehr, sieht weiter. Welch´ ein Hohn , welche Demütigung für Bileam.
Von der Eselin muss Bileam lernen. Diese Episode können wir sehr aktuell deuten. Für mich leiht die Eselin ihre Stimme der ganzen Schöpfung. So brutal und rücksichtslos Bileam mit seiner Eselin umgeht, die immer für ihn da war und ihn überall hingetragen hat, wohin er wollte, ein Leben lang seinen Willen erfüllt hat, so gehen wir mit der Schöpfung Gottes insgesamt um. Und wir erleben es jetzt sehr deutlich, dass in der Klimakatastrophe, im Verlust der Biodiversität, in der Zerstörung vieler natürlicher Ressourcen, im Zubetonieren der fruchtbaren Erde, die Natur uns zur Rede stellt: Warum schlägst du mich? Warum beutest du uns so aus? Warum lebt ihr so über unsere Verhältnisse?
Durch die geschundenen Tiere, die schmelzenden Gletscher, den verbrannten Regenwald, die ausgebeuteten Völker in ihrer traditionellen Lebensweise wächst bei jungen und wachen Menschen heute der Widerstand gegen unseren zerstörerische und verschwenderische Lebensstil. Da braucht es Engel, die sich uns entgegenstellen. Vielleicht sind die Kids von Fridays for future diese Gottesboten, die uns zur Umkehr zwingen wollen. Ich denke, Jesus stellt sie uns heute in die Mitte: Schutzengel, die protestieren für Klimagerechtigkeit und für den Frieden. Nehmen wir sie ernst und nehmen wir uns an Bileam ein Beispiel: Er war bereit seine Blindheit einzusehen. Er hat von seiner Eselin, der Schöpfungsbotin gelernt, und sich vom Engel sagen lassen, wie es weitergeht.
Nehmen wir heute die Engel wahr, die uns schützen wollen, wenn sie sich uns auch entgegenstellen. In dem bekannten Gedicht von Rudolf Otto Wiemer, Die Engel – Es müssen nicht Männer mit Flügel sein, heißt es in der letzten Strophe:
Er steht im Weg und er sagt: Nein,
der Engel.
Groß wie ein Pfahl und hart wie ein Stein –
Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein,
die Engel.
Amen!
Die Engel – Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein
(von Rudolf Otto Wiemer)
Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein,
die Engel.
Sie gehen leise, sie müssen nicht schrein,
oft sind sie alt und hässlich und klein,
die Engel.
Sie haben kein Schwert, kein weißes Gewand,
die Engel.
Vielleicht ist einer, der gibt dir die Hand,
oder er wohnt neben dir, Wand an Wand,
der Engel.
Dem Hungernden hat er das Brot gebracht,
der Engel.
Dem Kranken hat er das Bett gemacht,
und hört, wenn du ihn rufst, in der Nacht,
der Engel.
Er steht im Weg und er sagt: Nein,
der Engel.
Groß wie ein Pfahl und hart wie ein Stein –
Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein,
die Engel.