Hilft beten?
Sein Licht nicht unter den Scheffel stellen.“ „Ruhen wie in Abrahams Schoß.“ „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.“ Sicherlich haben Sie diese biblischen Redewendungen schon einmal gehört oder selbst verwendet. Auch Sodom und Gomorra, die beiden Städte, um die es in der heutigen Lesung geht, haben zumindest sprichwörtlich überlebt. Normalerweise ist der Ausruf: „Da geht es ja zu wie in Sodom und Gomorra!“ negativ konnotiert. In unserem heutigen Text hat Gott beschlossen, die Städte und deren Bewohner*innen zu vernichten, da sie kein gottgefälliges Leben führen.
Abraham, bei dem zuvor die drei Männer zu Gast waren, beginnt nun wie am Basar mit Gott zu feilschen. Ob er das getan hat, weil sein Neffe Lot mit Familie dort wohnte oder weil er es nicht zulassen wollte, dass Gott seinen Zorn an den Städten vollstreckte: wir wissen es nicht. Spannend ist, dass Gott tatsächlich mit sich handeln lässt. Wenn wir allerdings weiterlesen, entdecken wir, dass Gott die beiden Städte vernichtet, nur Lot und ein Teil seiner Familie werden gerettet. Heute wissen wir, dass es sich wahrscheinlich um ein Erdbeben gehandelt hat, das die beiden Städte zerstörte. Und für heutige Ohren klingt Abrahams Feilschen mit Gott gewöhnungsbedürftig.
Mich stellt dieser Text vor die große Frage, ob und – wenn ja – wie Gott Gebete erhört.
Wir müssen nicht in die Geschichte zurückschauen, ich denke, dass seit Februar unzählige Menschen weltweit darum beten, dass der Krieg in der Ukraine aufhört. Und nichts geschieht. Täglich erreichen uns neue Schreckensmeldungen. Auch aus unserem alltäglichen Leben kennen wahrscheinlich viele von uns solche Beispiele.
Es gibt aber viele unterschiedliche Zugänge zum Gebet: viele halten ganz persönliche Zwiesprache mit Gott, andere behelfen sich mit formulierten Gebeten, wieder andere beten mit Hilfe der Heiligen Schrift, z.B. die Psalmen. Ein Gebet muss ja nicht immer ein Bittgebet sein. Trotzdem ist das Gebet, das wahrscheinlich die meisten von uns am häufigsten sprechen, ein Bittgebet durch und durch. Die Jünger wollen von Jesus beten lernen, und er betet ihnen vor.
Im Vater unser kommen unsere wichtigsten Beziehungen vor: die Beziehung von uns Menschen zu Gott, sowie die Beziehungen untereinander. Ich denke, dass es im Gebet wohl mehr um die Beziehungspflege geht als darum, dass wir erhört werden. Immer wieder neu suchen wir in verschiedenen Situationen unseres Lebens nach Gott.
Der Theologe Karl Rahner zitiert in seiner Verteidigungsschrift des Bittgebets Gabriela Grunden, die schreibt: „Das Wagnis des Betens auf sich zu nehmen und dabei dem unverfügbar freien Gott zu begegnen, bleibt keinem erspart, der Gott sucht. Beten heißt auch: sich dem nagenden Zweifel stellen und sich der bisweilen existentiellen Not des Nicht-Beten-Könnens aussetzen. Dazu gehört, seelische Dürre und Einsamkeit auszuhalten, die mit der Not und dem Segen des Gebetes verbunden sind.“ Karl Rahner schreibt darauf: „Das ewige Wort des göttlichen Jubels ist zeitlicher Schrei der menschlichen Not geworden und hat so unter uns gewohnt. Das ist unsere Antwort auf die Anklage gegen das Bittgebet. Diese Antwort heißt: Jesus Christus. Er betet uns das Bittgebet vor.“
Wenn wir also uns selbst, unsere von Gott geschenkte Freiheit und Gott ernst nehmen und immer wieder an dieser Beziehung arbeiten, von der wir uns Antworten auf die Fragen unseres Lebens erhoffen, dann lohnt es sich wahrscheinlich, so hartnäckig wie Abraham zu sein und so vertrauensvoll wie Jesus zu beten. Bleiben wir dran, geben wir nicht auf – wer weiß, womit Gott uns überraschen wird? Amen.