Vergebung kann verwandeln
„Schwere Kost!“ Das war meine erste Reaktion wie ich zur Vorbereitung diesen Evangelientext las. Der überfordert uns Menschen doch komplett.
War Ihre Reaktion vielleicht ähnlich, wie Sie die Worte von der Feindesliebe gehört haben? Wie gehen Sie mit so einem Text um? Machen Sie es auch so: Analysieren. Kritisch hinterfragen (hoffentlich jedenfalls). Nicht blind übernehmen, was einem vorgelegt wird. Dazu braucht es auch die Vernunft. Wenn ich dann in den Spiegel schaue, darin mein Gesicht sehe und mir als vernünftigen Menschen die Fragen stelle: Wie gehe ich jetzt als Christ mit so einem Text um, was macht meine Vernunft damit? Macht mich der Text nicht auch ein wenig ratlos, ja, überfordert er mich? Dass mit dieser Feindesliebe, wie soll das gehen? Denen Gutes tun, die mich hassen?
Es braucht nicht viel, um sich vorzustellen, was Menschen anderen Menschen antun, bis hin in unsere katholische Kirche, mit den Missbrauchsfällen die ans Tageslicht kommen. Denken wir nur an die Vernichtung von Menschen in den Weltkriegen. Oder denken wir an den Massenmörder Breivik. Am 22. Juli 2011 erschießt er über 70 Jugendliche in einem Zeltlager. Wie sollte ich einem Menschen Gutes tun können, der mein Kind ermordet? Es gäbe Beispiele ohne Zahl für die schlimmsten Grausamkeiten. Wie kann dann das gehen: Denen Gutes tun, die mir Schlimmes antun? – Was also mache ich mit so einem Text?
Da erinnere ich mich wieder einmal an meine Ausbildung, wo uns gesagt wurde, dass man die Frage immer auch andersherum stellen kann, ja muss. Wenn die Heilige Schrift das Wort Gottes an uns Menschen ist, dann heißt die Frage nicht mehr: Was mache ich mit diesem Text, sondern: Was macht dieser Text mit mir? Er lenkt in diesem Fall meinen Blick auf die Wunden und dabei ist „Verzeihen“ ein großes Thema, im Leben eines jeden Menschen. Ohne Wunden geht es
nämlich nicht. Und ohne Schuld auch nicht. Wir Menschen erleiden Wunden, die uns von anderen zugefügt werden. Und wir sind verantwortlich für die Wunden, die wir den anderen zufügen. Schließlich gibt es noch eine dritte Form: Das sind die Wunden, die sich jeder selbst zufügt, wobei es dabei gar nicht so einfach ist, dass man das auch merkt. Wo tue ich mir weh? Bedenken wir etwa, dass wir uns nicht immer, wenn wir uns etwas gönnen, damit auch wirklich etwas Gutes tun? Jede Wunde macht etwas mit dem, der sie erleidet. Wenn sie nicht heilt, wenn sie nicht versöhnt wird, dann wird mein Leben schwerer dadurch. Wenn ich unversöhnt lebe, lebe ich nicht ganz.
Die Wunde, der Zorn, der daraus kommt, der Groll, das Nachtragen, all dies
fesselt das eigene Leben. Es sind dann unsere schlechten und schmerzhaften
Erinnerungen, von denen wir festgehalten und niedergedrückt werden?
Es gibt keine Verletzung, keine Wunde, die man rückgängig machen könnte. Aber der Mensch kann lernen, mit ihnen umzugehen. Und so kann eine Verwandlung geschehen als ein geistlicher Prozess, ein geistliches Wachstum. Um das zu
vertiefen folgende Erzählung.
In einem Kloster wurde ein Kurs zum Thema Versöhnung abgehalten. Der
Exerzitienleiter sagt zu den Teilnehmer:innen: „Nehmen Sie einen Stuhl in beide Hände und tragen Sie ihn vor sich her durch den Saal. Stellen Sie sich vor, was Sie wem mit diesem Stuhl nachtragen. Und überlegen Sie sich dabei auch, ob die andere Person überhaupt weiß, dass Sie ihr etwas nachtragen.“ Die Teilnehmer reagieren erst amüsiert. Aber dann stellen sie schnell fest: Nachtragen ist anstrengend. Und belastet – ja, letztlich nur mich selbst. So stellen sie den Stuhl ab. Er ist noch da. Aber ich muss ihn nicht tragen. Und so mache ich Schritte. Schritte in Richtung Verwandlung und Versöhnung.
Es geht Jesus im heutigen Evangelium der Feldrede um das Leben. Es soll ganz werden. Und dazu braucht es solche Schritte. Und Übung braucht es, damit das Reich Gottes wachsen kann: „Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!“ – denken wir daran, und nehmen wir es ernst, dann mag uns dieses Gebet, das Jesus uns gelehrt hat, verwandeln. Nicht verändern, sondern verwandeln, was war, das ist der Weg, der ins Leben führen kann.
Wunden, die ich anderen Menschen zugefügt habe,
Herr, du magst sie verwandeln.
Wunden, die mir zugefügt wurden,
Herr, du magst sie verwandeln.
Wunden, die ich mir selber zugefügt habe,
Herr, du magst sie verwandeln.
Gott verwandelt was war,
das ist der Weg der ins Leben führen kann. Amen.