Heiligkeit. Kein Eliteprogramm
Nicht jede ist dazu berufen, Ordensfrau zu werden. Stimmt! Nicht jeder ist dazu berufen, Sportler zu werden. Stimmt! Nicht jeder ist dazu berufen, bei Hilfsprojekten in Afrika mitzuarbeiten! Stimmt! Nicht jeder ist dazu berufen, eine Familie zu gründen. Stimmt!
Nicht jeder ist dazu berufen heilig zu werden. Stimmt NICHT!!! Heiligkeit ist kein Elite Programm für wenige Auserwählte. Wir alle sind zur Heiligkeit und zu dieser Seligkeit, von der in den Seligpreisungen die Rede ist, berufen. Das möchte ich euch heute anhand einer kleinen Geschichte, die ich letzten Sommer erlebt habe, schmackhaft machen.
Ein Lächeln
Ich sitze im Bus. Neben mir eine junge Familie. Das kleine Mädchen von etwa 3 Jahren, in einem hübschen Sommerkleidchen und mit Schleife im Haar, wird unruhig in seinem Kinderwagen. Endlich hebt der Papa sie heraus und sie darf neben der Mama auf der Bank sitzen. Plötzlich ist aller Kummer vergessen und sie schaut strahlend aus dem Fenster. Ich beobachte, wie sie winkt und halte selbst Ausschau nach dem Ziel ihrer Begeisterung. An der gegenüber liegenden Haltestelle sitzt ein sehr heruntergekommen aussehender Mann. Er starrt ins Leere. Doch endlich entdeckt er seinen kleinen Fan. Ist wirklich er gemeint?? Zögernd winkt er zurück. Die Begeisterung des kleinen Mädchens wächst und sie winkt wieder mit einem strahlenden Lächeln. Unser Bus fährt weiter, aber solange es irgendwie geht, behält sie den Mann im Blick. Nun huscht auch über sein Gesicht ein Lächeln. Wahrscheinlich das erste seit langem. Wahrscheinlich wurde er schon lange nicht mehr so liebevoll beachtet.
Elfriede Demml, Pastoralassistentin in Graz, 6.6.2020
Ich wage es, dieses kleine Mädchen– und auch den Mann – selig zu preisen. Was hat diese Geschichte mit Seligkeit oder gar Heiligkeit zu tun? Schauen wir uns die einzelnen Szenen genauer an:
Das kleine Mädchen hat ein schönes Kleidchen an. Ich gehe davon aus, dass es dieses Kleidchen nicht alleine angezogen hat. Dafür ist das Mädchen noch zu klein. Die Eltern haben es so schön angezogen.
So ähnlich ist es mit unserer Taufe. Die meisten von uns wurden als Baby getauft. Wir haben nicht viel dazu beigetragen, waren arm vor Gott. Wir haben einfach so das Kleid Christi geschenkt bekommen, wurden von ihm schöngemacht und gehören nun zur Gottes Familie.
Dem Mädchen wird es zu langweilig im Kinderwagen. Es fängt an zu jammern und streckt die Hände nach dem Vater aus.
Auch uns wird es irgendwann zu langweilig in der vorbestimmten sicheren Bahn unseres Alltags. Wir können rufen: "Hey, Vater, hol mich hier raus, aus der Langeweile dieses Kinderwagens! Ich weiß, ich bin zu mehr berufen!"
Und der Vater holt das Mädchen aus dem Kinderwagen heraus. Das fühlt sich im ersten Moment toll an, in den starken Armen des Vaters hochgehoben zu werden. Aber dann in der Luft hängen, vielleicht sogar mit dem Gesicht weggedreht vom Vater, kann dann doch etwas unheimlich werden. Denn in dieser Phase sehen wir ihn nicht. Da bleibt nur das nackte Vertrauen, dass er hinter uns ist und dass er uns an einen guten Ort bringt. Das Beste was wir dazu beitragen können, ist stillhalten und eben vertrauen. Ich bin gehalten in den starken Händen des Vaters, auch wenn ich ihn nicht sehe. Wenn wir anfangen zu zappeln und uns zu wehren, macht das die Sache für Gott nicht einfacher. Aber auch dann wird er uns nicht fallen lassen.
Der Vater des kleinen Mädchens setzt es nun neben die Mama auf die Bank im Bus. So, dass es aus dem Fenster schauen kann.
Gott stellt uns in ein Netzwerk aus Beziehungen. Und von diesem Platz aus, an dem Gott uns hingestellt hat, können wir jetzt auf Entdeckungsreise gehen. Was tut sich da neben uns? Was sehen wir, wenn wir aus dem Fenster schauen?
Das Mädchen schaut aus dem Fenster und sieht den heruntergekommenen Mann. Es tut nicht viel. Es startet keine großen Sozialprojekte. Es macht einfach das, was in seiner Möglichkeit steht. Es winkt und lächelt ihm zu. Und diese kleine Geste verändert das Gesicht und wahrscheinlich den ganzen Tag des Mannes.
Wenn wir mit offenen Augen durch unser Leben gehen und das tun, was gerade in unserer Möglichkeit steht, wird ein Stück Himmel auf Erden spürbar, wird auch unsere Umgebung heiler und geheiligt.
Für mich zeigt diese Geschichte, dass Heiligkeit nichts mit großer Anstrengung und Perfektionismus zu tun hat, sondern mit ganz viel Vertrauen. Vertrauen, dass Gott es gut mit mir meint, auch wenn ich ihn gerade nicht wahrnehmen kann. Vertrauen, dass er einen guten Plan für mich hat, der mich in der Tiefe meines Herzens glücklich machen wird. Vertrauen, dass ich dort, wo er mich hinstellt in der Gemeinschaft der anderen Heiligen viel bewirken kann und die Welt dadurch geheiligt wird und die Gegenwart Gottes spürbar wird. Nimm den Platz ein, den er für dich vorgesehen hat. Er bleibt sonst leer. Du sollst nicht Mutter Teresa werden, du sollst nicht Johannes vom Kreuz werden. Du sollst du werden in deiner ganzen Pracht, wie dich Gott erträumt hat. Denn dein Platz soll nicht leer bleiben.