Werde nass. Umarme Bäume. Schreibe Liebesbriefe.
Strmen: Haben Sie dieses Wort schon einmal gehört? Es ist kein kroatisches Gericht und kein polnischer Kurort. Strmen ist ein steirischer Ausdruck und beschreibt ein Naturphänomen im Ausseerland. Gerade im Mai, um Pfingsten füllen sich in der Nähe des Ödensees bei Kainisch unterirdisch Karstquellen mit dem Schmelz-wasser aus dem Dachsteinmassiv. Plötzlich brechen mitten im Wald ganz wasserreiche Quellen hervor und überfluten den Waldboden. Neue Bäche, Wildbäche, entstehen von einem Moment auf den anderen und finden frische Wege durch den Wald. Einen Tag sind sie da, am anderen Tag schon versiegt. Nie kann man sie genau vorher-sagen oder orten. Wer die Strmen erlebt hat, ist davon begeistert.
Diese Strmen fallen mir ein, wenn ich das heutige Evangelium höre, in dem Jesus sagt, dass „aus seinem Inneren Ströme von lebendigen Wasser fließen“ (Joh 7,38). Jesu Umfeld ist aber nicht Aussee. Er steht beim Laubhüttenfest - einem Erntedankfest bei dem auch an die 40 Jahre dauernde Flucht des Volkes Israel durch die Wüste erinnert wird - im Tempel von Jerusalem. Er blickt auf den Wasserritus der Priester dort. Sie holen aus der Shiloachquelle Wasser herauf und gießen es in der Hoffnung über den Brandopferaltar, dass Gott genügend Regen schickt in der Winterzeit. Dieser Ritus erinnert die Mitfeiernden an den Felsen am Sinai aus dem Mose mit seinem Stab das Wasser schlug und hält die Vision des Propheten Ezechiel von der Tempelquelle wach. Jesus bezieht all diese Bilder und Symbole von der Lebendigkeit Gottes, die überfließt, auf sich. Er ist der Fels, der Wasser spendet. Er ist die Tempelquelle der Endzeit. Er ist wie die Strmen im Salzkammergut. Er schenkt den Geist, der heilt, tröstet, ermutigt, alles mit Leben flutet.
Vom Geist Gottes wird in der Bibel in kräftigen Naturbildern gesprochen. Die Geistkraft ist wie der Wind, das Feuer, das Wasser, wie der Atem, der uns am Leben erhält. Pfingsten öffnet uns den Blick für die Quellen, die in unseren Begegnungen und Ereignissen zu sprudeln beginnen.
Es sprudelt dort und da, in und außerhalb der Kirche.
Einer, den ich letzte Woche anlässlich seines 100. Geburtstages, wieder als eine sprudelnde Quelle des Geistes entdeckt habe, ist der bekannte und umstrittene deutsche Künstler Joseph Beuys. Er schreibt in seiner Anleitung zum guten Leben:
Lass dich fallen, lerne Schlangen zu beobachten. Pflanze unmögliche Gärten. Lade jemanden Gefährlichen zum Tee ein. Mache kleine Zeichen, die Ja sagen und verteile sie überall in deinem Haus. Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit. Freue dich auf Träume. Weine bei Kinofilmen. Schaukle so hoch du kannst mit einer Schaukel bei Mondlicht. Pflege verschiedene Stimmungen. Verweigere dich verantwortlich zu sein – tu es aus Liebe! Mache eine Menge Nickerchen. Gib Geld weiter. Mach es jetzt. Es wird folgen. Glaube an Zauberei, lache eine Menge. Bade im Mondschein. Träume wilde, fantasievolle Träume. Zeichne auf Wände. Lies jeden Tag. Stell dir vor, du wärst verzaubert. Kichere mit Kindern, höre alten Leuten zu. Öffne dich, tauche ein. Sei frei. Preise dich selbst. Lass die Angst fallen, spiele mit allem. Unterhalte das Kind in dir. Du bist unschuldig. Baue eine Burg aus Decken. Werde nass. Umarme Bäume. Schreibe Liebesbriefe!
In diesen Worten sprudelt für mich das Leben und der Geist.
Genau das will uns Jesus heute sagen: Komm zu mir! Schöpf mich aus! Auch aus dir wird´s dann sprudeln. Herrliche Strmen! Plötzlich ist alles da. AMEN!
Werde nass. Umarme Bäume. Schreibe Liebesbriefe!