Wunde Punkte
Die Erzählung des Osterevangeliums mit Thomas, der nicht glauben kann, ist uns bekannt und durch viele bildliche Darstellungen vertraut. Der ungläubige Thomas, sagen wir gerne. Dieser Ausdruck ist sprichwörtlich geworden bei uns.
Vielleicht können wir heute am Festtag des Apostels Thomas dieses Evangelium neu hören lernen. Für mich ist Thomas ein Glaubenstherapeut, ein Wegweiser ins Vertrauen. Er legt seinen Finger auf die richtige Stelle, auf die Wunden.
Wenn wir um einen nahen und lieben Menschen trauern, dann spüren wir den Schmerz, dass der oder die Vertraute nicht mehr da ist, nicht mehr ansprechbar und mir keine Antwort mehr gibt. Das Band der Beziehung scheint zerrissen. Diese Trennung reißt Wunden in die Seele. Echtes Mitleid und menschliche Nähe trösten in der Trauer. Oberflächliche Beileidsbekundungen aber lassen uns in der Traurigkeit allein.
Thomas macht es sich nicht einfach. Er nimmt die Wunden ernst und will sie berühren. Er meint die Wunden Jesu als Zeichen der Echtheit, der Wiedererkennung. Er meint aber auch seine Wunden der Trauer über die Trennung. Und weil Thomas das Berühren der Wunden einfordert, findet er einen Weg zu Jesus. Der Auferstandene zeigt seine Wunden und ist bereit diese Wunden berühren zu lassen.
Thomas ist ein Therapeut, ein Therapeut des Glaubens. Wenn wir unsere eigene Trauer ernst nehmen, wenn wir unsere Wunden nicht verstecken, sondern zeigen und ansprechen, wenn wir die wunden Punkte berühren lassen, dann kann Heilung geschehen durch die Nähe anderer, durch die Nähe des auferstandenen Herrn Jesus Christus. Als glaubende Menschen dürfen wir darauf vertrauen, dass wir nicht allein gelassen sind, auch wenn uns der liebste Mensch gestorben ist und uns seine Nähe so sehr fehlt.
Gerade im Ernstnehmen meiner Wunden und in der Offenheit für neue Begegnungen können uns die Augen aufgehen für die heilende Gegenwart Gottes. Wer glaubt, ist nicht allein. Wir werden sehen, dass wir eingebunden sind im großen Ganzen der neuen Welt Gottes und dass unsere Verstorbenen uns nicht fern sind. Die Liebe und das Vertrauen verbinden uns über den Tod und über die Wunden der Trauer hinaus. AMEN!