Die Frage des Glaubens!
„Der ungläubige Thomas“ – mit diesem wenig schmeichelhaften Beinamen schmücken wir den Apostel, von dem das heutige Evangelium berichtet. – „Ungläubig“ – weil er den Jüngern nicht sofort glaubte; weil er Jesus mit eigenen Augen sehen und mit eigenen Händen berühren wollte, um wirklich glauben zu können. – Und doch ist er für mich einer der glaubwürdigsten Zeugen der Auferstehung. Er wird nicht in unerreichbare Höhen entrückt, sondern ist ein sehr menschlicher Apostel. Gerade an dieser einen Szene wird deutlich, was Auferstehung bedeutet.
3 Aspekte dieses Evangeliums möchte ich hervorheben:
- Die Bedeutung der Wundmale
- Die Bedeutung der Berührung
- Die Frage des Glaubens
Die Wundmale
Jesus selbst zeigt sich den Jüngern – und er zeigt auf seine Seite und auf seine Hände. Indem sie die Wundmale sehen, wissen sie, dass dieser Auferstandene derselbe ist wie der Herr, dem sie gefolgt sind. Was vorher gesagt worden war, wird gerade erst durch die Auferstehung neu verständlich.
Die Wundmale Jesu werden nicht nur für die Jünger zur Bestätigung: „Ja, das ist wirklich Jesus!“, sondern sie werden auch zur Bestätigung, dass Gott die Menschwerdung in allen Konsequenzen ernstgenommen hat.
Die Wundmale zeigen mir schließlich noch etwas: Auferstehung ist nicht zuerst ein spirituelles Ereignis, etwas Geistiges, das nichts mit unserem Leib zu tun hat. Wir bekennen im Glaubensbekenntnis die „Auferstehung der Toten“ – und nehmen damit unser Leben,
radikal ernst: Auferstehung beginnt nicht erst nach dem Tod; wir haben keine Wiedergeburt, die uns in einem ganz anderen Körper in einer ganz anderen Welt neu aufleben lässt: Wir glauben, dass jedes Leben hier einmalig ist und dass jedes Leben für Gott so wertvoll ist, dass er uns mit all unseren Ecken, Kanten, und Verwundungen hinnehmen wird in die Vollendung.
Die Bedeutung der Berührung
Ein zweites, das mich an dieser Bibelstelle fasziniert, ist die Szene, wo Thomas den Auferstandenen berühren möchte.
Er möchte mit eigenen Augen sehen und mit den Händen fühlen, dass es sich wirklich um Jesus handelt. Er will nicht nur vom Hörensagen glauben.
Mich erinnert dies an die Art, wie Kinder die Welt kennen lernen. Zuerst eben vor allem durch Berührung, durch das Hineinnehmen von Dingen in den Mund, durch Betasten und Befühlen von allem, was irgendwie erreichbar ist.
Es gibt einen alten Stummfilm von Charlie Chaplin, „Lichter einer Großstadt“ – darin wird von einem Landstreicher erzählt, der auf Grund eines Missverständnisses von einem blinden Mädchen, das am Straßenrand Blumen verkauft, für einen Millionär gehalten wird. Der Landstreicher liebt das Mädchen und kann ihr nicht sagen, dass er arm ist. Auf abenteuerliche Weise gelangt er zu einer größeren Summe Geldes und bezahlt dem Mädchen eine Augenoperation. Die Operation gelingt, aber nun kann er sich dem Mädchen erst recht nicht zeigen, da es ihn nun sehen kann, wie er ist. So beobachtet er die Geliebte nur durch das Schaufenster ihres Ladens und wird von den anderen Verkäuferinnen verlacht. Das Mädchen geht vor die Tür, um ihm aus Mitleid etwas zuzustecken und berührt ihn dabei – und ihre Hände erkennen ihn. In den letzten Zeilen des Films fragt sie: „Du?“ – und er nickt und fragt: „Du kannst jetzt sehen?“ und sie sagt: „Ja, jetzt kann ich sehen.“° Erst die Berührung ließ das Mädchen wirklich sehend werden.
Die Berührung des Auferstandenen, durch die Thomas zum Glauben kommt, geben wir auch in der Berührung der Handauflegung weiter: so bei der Taufe, der Firmung, der Trauung, der Weihe oder der Krankensalbung. – Es ist die Zusicherung: Dieser Jesus, der tot war, lebt.
Die Frage des Glaubens
Schließlich steht dieser Thomas für die vielen Menschen heute, die sich. mit ihrem Glauben schwertun. Er ist zu spät gekommen. Er war nicht bei der ersten Versammlung der Jünger dabei – und gerade ihm, dem Zweifelnden, schenkt Jesus mehr Zeit. Er lässt sich von ihm berühren und er spricht ihn gesondert an.
Ich glaube, dass gerade unsere heutige Zeit Platz braucht für die vielen Menschen, die auf der Suche sind. Für die es vielleicht noch nicht Ostern ist, sondern Karfreitag. Die noch nicht an die Auferstehung glauben können.
Thomas ist mit seinen Gedanken so sehr beim Leid, er ist so tief enttäuscht, dass er keinen Illusionen mehr verfallen will. Er fürchtet sich, noch einmal enttäuscht zu werden.
Er zweifelt; seine Hoffnungen sind zerstört und dennoch: Er gib nicht auf und schmeißt nicht alles hin und sagt: “Ich glaube nicht mehr daran Ich geb's auf”.
Für mich heißt das: Auch ich erlebe Zeiten der Mutlosigkeit und der Verzweiflung. Gerade Krankheit, Tod und Not stellen mich vor die Frage: Ist Gott in all dem Leid wirklich da? Ich möchte ihn sehen, fühlen ... sonst glaube ich nicht! Der Glaube, der eine Stütze braucht – in dieser Situation sind wir immer wieder. – Und doch ist es gerade der Glaube, der uns in aller Not stärken kann.
Deshalb feiern wir auch Sonntag für Sonntag diese Begegnung mit dem Auferstandenen, auch wenn es in der gegenwärtigen Zeit nicht in der uns gewohnten Form möglich ist. Wir feiern Ostern, um uns immer wieder neu berühren zu lassen, um zu dem Glauben zu kommen, der in selbst im größten Leid, in aller Freude sagen kann: „Mein Herr und mein Gott.“
Werner Figo