Die Diözese Graz-Seckau, 1218 gegründet, umfasst 388 Pfarren. Diözesanbischof ist seit 2015 Wilhelm Krautwaschl. Mehr zur Diözese
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Der Thesaurus musicae sacrae als Chance für die Kirche des 3. Jahrtausends
Ein Reichtum von unschätzbarem Wert
Kann die Kirchenmusik eine Chance für die Kirche sein? Welch verwegene Frage. Ich behaupte Ja, das kann sie, aber nur unter der Voraussetzung, dass die Musik und wir Musiker*Innen den hörenden Menschen – die Nichtchristen ebenso wie die Christen, die Kirchenfernen ebenso wie die Kirchennahen – bewegen können. Bewegung kann auf vielerlei Weise stattfinden, aber sie muss von Herzen kommen. Cicero schreibt: „Was nicht von Herzen kommt, kann schwerlich zu Herzen gehen.“
Ich kann hier nur meine persönlichen beruflichen Erfahrungen und Einblicke als Domkapellmeister, vor allem auf dem Gebiet der vokalen Kirchenmusik einbringen. Das heißt, meine Ausführungen ergeben nur eine von vielen möglichen Perspektiven.
Noch eine Frage zu Beginn: Ist uns Kirchenmusiker*Innen, den Priestern, der Kirchengemeinde, den Kirchfernen dieser unschätzbare Wert, welchen die Kirchenmusik laut dem zweiten Vaticanum darstellt überhaupt bewusst? Die überfüllten Konzertsäle bei Konzerten geistlicher Musik der diversen Alte Musik Festivals (Melk/Resonanzen oder Styriarte) scheinen diese Frage zu beantworten. Andrerseits, wenn wir in unsere Kirchen schauen, dann müssen es schon die großen Highlights der Kirchenmusik sein, wenn Kirchen im Gottesdienst und im Konzert voll sein sollen. Was ist schuld, an dieser Diskrepanz? Etwa wir Interpreten, oder die Musikauswahl, der Kirchenraum (eine Barriere für Viele), das geistliche Personal, die musikalische Qualität? Sind wir Kirchenmusiker*innen nicht gut genug? Das sind schwierige und unangenehme Fragen!
Was ist der Thesaurus musicae sacrae?
Er umfasst ein mehr als tausendjähriges Repertoire. Dieses beginnt ca. 760 mit der Gregorianik, so wie wir sie heute kennen und reicht bis Johanna Dodererers „Friedensmesse“ (Uraufführung im April 2024). Dazwischen tummeln sich die größten Komponisten von Palestrina, Schütz, Bach, Mozart, Haydn bis Bruckner, Messiaen und Heiller. Nicht zu vergessen die neuen Liedschöpfungen der letzten Jahrzehnte. Bei der Betrachtung dieser Repertoirefülle an großen und kleinen Meisterwerken wird mir immer ganz schwindlig und es erschleicht einem das Gefühl einer großen Überforderung, wenn man auch nur einen kleinen Teil davon entsprechend abbilden will.
Kirchenmusik und Liturgie
Ich beobachte in pastoral engagierten Pfarren eine gewisse Ghettoisierung der Liturgie. Da gibt es Kindermessen, Familienmessen, Jugendmessen (jeweils mit NGL und Gitarre) kurze Messen für Langschläfer oder Frühaufsteher, laute und lange Musikmessen, oder Touristenmessen wie in der Wiener Hofburgkapelle. Hier gilt es zu fragen: Ist dieses liturgische Splitting zeitgemäß? Und darüber hinaus: Ist es erfolgreich? Wir alle haben hoffentlich schon einmal erhebende Oster- oder Weihnachtsliturgien in großen Gemeinschaften erlebt, wo gerade das Miteinander der unterschiedlichsten Altersstufen und gesellschaftlichen Schichten beglückend war. Eine große Familie in und mit allen Facetten, ein Abbild der Gesellschaft. Unser heutiges buntes und vielfältiges Gesellschaftsbild mit den unterschiedlichen Bedürfnissen der Einzelnen prägt im Idealfall auch die sonntägliche Liturgie. Warum sollten dann bunte und vielseitige Musikkombinationen aus mehreren Genres und Epochen falsch sein? Die Auseinandersetzung mit dieser Frage hat in den letzten Jahren meine Kirchenmusikpraxis am Dom sehr verändert. Ungewöhnliche und oft schräge Musikkombinationen und Pasticcio-Programme waren das Ergebnis meiner Überlegungen und neugierigen „Entdeckungsreisen“. Im Folgenden seien ein paar Ideen für musikalische Gestaltungsmöglichkeiten abseits der abgetretenen Pfade genannt:
Kirche und zeitgenössische Kunst
Wir verdanken viele geistliche Werke den ganz großen Komponisten ihrer Zeit. Ihre bekanntesten Werke sind vielfach geistliche Musik. Denken Sie an Monteverdis Marienvesper, Bachs Passionen oder das Weihnachtsoratorium, Mozarts Requiem oder Bruckners Te Deum. Monteverdi komponierte für San Marco, Bach für die Thomaskirche, Mozart für den Salzburger und Bruckner für den Linzer Dom. Welcher große zeitgenössische Komponist, welche große zeitgenössische Komponistin tut das heute? Damit hinsichtlich der Kirchenmusik die Liturgie nicht zu einem Museum verkommt, müssen wir Kirchenmusiker*innen, und die Kirche generell wieder vermehrt liturgisch vielfältige Auftragskompositionen vergeben. Wie erfrischend können Vertonungen liturgischer Texte abseits vom Messordinarium sein, kleine Stücke, die in ihrer neuen Tonsprache ein engagierter Chor meistern kann. Generell wäre es eine große Chance für die Kirche des 3. Jahrtausends, wenn die zeitgenössische Kunst mit Auftragswerken wieder in die liturgischen Räume zurückgeholt werden könnte. Leider scheitern zaghafte Versuche wie z.B. Helnwein im Wiener Stephansdom oder Nitsch im St. Pöltener Dom am Widerstand von engherzigen oder engdenkenden Gläubigen.
Der Volksgesang als Fundament der Kirchenmusik
Bei all diesen neuen Möglichkeiten und Kombinationen – der klugen Fantasie sind keine Grenzen gesetzt- ist immer der Volksgesang die fruchtbare Basis für einen lebendigen Gottesdienst. Wir haben zwar ein in seiner Fülle und Vielfalt einzigartiges neues Gotteslob, aber ist der Volksgesang dadurch lebendiger geworden? Wer einmal das „I’ll never walk alone“ in Liverpool am Beginn eines Fußballmatches gehört hat, wird das nie mehr vergessen: 60.000 Engländer/Innen – viele davon in Chören musikalisch sozialisiert und trainiert- singen aus vollem Herzen dieses Lied, inbrünstig und begeistert. Eine unglaublich positive Energie entsteht. Bei jedem sonntäglichen Einzugslied muss ich an dieses Gänsehautgefühl denken. Es ist unsere, und nur unsere, Aufgabe, beim Einzug ein emotionales Gemeinschaftsgefühl und damit eine besondere Atmosphäre zu erzeugen. In der Liedauswahl gibt es daher nur eine Todsünde: ein der Gemeinde unbekanntes Lied zu Beginn des Gottesdienstes! In diesem Zusammenhang müssen wir uns fragen: Behandeln wir den Volksgesang, zum Beispiel durch ein klug ausgewogenes Verhältnis zwischen alten und neuen Liedern, liebevoll genug? Wie „mitsingfreundlich“ sind unsere Liedbegleitungen? Die offiziellen Begleitsätze im Orgelbuch zum Gotteslob sind leider zu oft gegen den melodischen Duktus des Liedes harmonisiert. Zu viele harmonische Schwerpunkte verhindert oftmals ein sinnvolles Grundtempo. Ich weiß digitale Liedanzeigen sind für alle praktisch (außer für den Organisten oder die Organistin). Aber dennoch bleiben sie ein totes Medium. Wie wohltuend ist hingegen eine einladende Liedansage durch den Priester oder den Kantor nur einmal im Gottesdienst. Wo dies gepaart mit einer kurzen inhaltlichen Hinführung geschieht erhält der Gemeindegesang plötzlich eine bemerkenswerte emotionale und geistige Energie. Ich möchte an dieser Stelle den engagierten Chorleiter*innen die Gründung einer kleinen Schola empfehlen. Sie kann den Kirchenchor entlasten, das Repertoire erweitern und auch im Wechsel mit der Gemeinde den Volksgesang stützen und beleben. Ich denke hier besonders auch an einige Neue geistliche Lieder im Gotteslob, bei welchen die Gemeinde für die Unterstützung eines Kantors oder einer Schola dankbar wäre. Vor allem aber, wäre es mit einer kleinen Schola möglich, das ohnehin schmale gregorianische Repertoire aus dem Gotteslob in den Gemeindegesang zu integrieren, denn ohne entsprechende Stütze ist die Gemeinde mit der Gregorianik überfordert. Noch ein Wort zum Antwortpsalm: Dieser sollte grundsätzlich dem Kantor, der Kantorin vorbehalten sein. Denn wenn das frei schwingende, verständliche Wort beim Antwortpsalm zentral ist, dann ist jede Chorpsalmodie eine Notlösung; Überhaupt dann, wenn sie nicht sorgfältig genug vorbereitet wird.
Zweck und Sinn der Kirchenmusik
Nach all diesen Überlegungen zum Wie der Kirchenmusik möchte ich nun auch nach dem Warum fragen. Warum machen wir überhaupt Kirchenmusik? Zuallererst: Sie berührt uns. Ein alter Ausdruck dafür ist erbauen. Kirchenmusik sensibilisiert Herz, Seele und Geist. Sie weckt Emotionen. Musik soll, kann, ja muss auch aufrütteln, verwirren und verstören. Am Ende wird sie immer auch heilen können. Sie wird den Menschen verändern und menschlicher, vielleicht besser machen. Das ist unsere Hoffnung. So können wir als zweiten Grund für unser Tun anführen: Kirchenmusik dient auch zur Erbauung der Gläubigen. Das gelingt aber nur dann, wenn wir als Kirchenmusiker*innen selbst von der Musik berührt sind. Drittens fällt uns die große Aufgabe zu, zur Ehre Gottes zu musizieren. Bach und Bruckner waren durchdrungen von diesem Urgrund ihres Schaffens. So steht am Ende vieler ihrer Kompositionen das Soli Deo Gloria – Gott allein die Ehre.
Kirchenmusik und ihre dreidimensionale Wirkung
Die musikalische Ebene bildet das Fundament: und wer singt betet zwar bekanntlich doppelt, jedoch nur – und das steht auch bei Augustinus - wenn er seine Ohren nicht beleidigt. Das heißt also: Der gute Wille allein genügt nicht. Er muss gepaart sein mit Geschmack und Urteilsfähigkeit in künstlerischen Dingen. Denn, um den Ohren zu schmeicheln, braucht es unter Anderem
Schöpfen wir alle unsere musikalischen Möglichkeiten aus? Der Begriff Alte Musik beinhaltet die Musik von der Gregorianik bis Bruckner. Dieses riesige Repertoire zu pflegen ist eine große Herausforderung für uns Kirchenmusiker. Wenn wir an die großen Startdirigenten denken, die in den meisten Fällen ein Repertoire von vielleicht 150 Jahren musizieren, dann erkennen wir, wie hoch im Vergleich dazu die Anforderungen an uns sind.
Die 2. Ebene der Vermittlung ist die Theologische Ebene. Gute Kirchenmusik deutet Bibeltexte musikalisch aus. Bachs Kantaten und Passionen oder die Motetten von Bruckner vermitteln über die Musik und ihre Interpretation Theologie und Glaubensinhalte. Findet diese Musik in der Kirche statt, dann kommt zusätzliche noch die Dimension des Raumes hinzu. Durch die Architektur, die künstlerische Ausstattung und die Musik, kann der Hörer, die Hörerin eine „Ahnung vom himmlischen Paradies gewinnen“, wie es Jakob Prandtauer für den St. Pöltner Dom formuliert.
Andrerseits erreichen Aufführungen im Konzertsaal, wie schon eingangs erwähnt ein größeres und damit auch ein kirchenferneres Publikum. Bietet der St.Pöltener Dom ungefähr 400 Personen Platz, so sind es im Festspielhaus gut 1200 zur Verfügung stehende Plätze. Daraus folgt die wichtige Erkenntnis für uns und die Kirche, dass die pastorale Bedeutung der Kirchenmusik, gerade auch dann, wenn sie den Kirchenraum verlässt, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Eine dritte Ebene ist die politische. Kirchenmusik ist nicht nur ein Wohlfühlbrunnen mit Wellnesscharakter oder ein Kulturgenuss vor dem sonntäglichen Schweinsbraten. Bibeltexte haben auch immer eine sehr politische Dimension. Ein paar Beispiele mögen dies verdeutlichen.
Resümee
Inwiefern kann die Kirchenmusik für die Kirche nun eine Chance sein? Einiges sei abschließend zusammenfassend genannt:
Orte der kirchenmusikalischen Bildung
Was können wir tun, damit vieles des soeben Genannten gelingt? Zentral scheint mir eine gute Zusammenarbeit der drei großen Ausbildungsinstitutionen: dem Kirchenmusik-Referat, dem Konservatorium für Kirchenmusik und dem Institut für Kirchenmusik an der Musikuniversität.
Das Kirchenmusikreferat leistet mit seinem Kursangebot und den Singtagen wichtige Basisarbeit. Hier kann freilich nicht genug getan werden. Wichtig ist ein niederschwelliges Kursangebot für Kantor*innen, praktizierende und interessierte Chorleiter*innen und Organist*innen. Je mehr Aktivitäten dezentral in den Pfarren draußen stattfinden, desto größer ist die Chance auf eine gute Teilnahme. Was dem Blasmusikverband gelingt, muss uns doch auch gelingen. In diesem Zusammenhang noch ein wichtiges Thema: Die Radio-/Fernsehmessen, werden seit Corona fast inflationär angeboten. Sie sind oft sehr ehrlich bemüht und authentisch gestaltet. Aber eine sorgfältige Auswahl der Pfarren sollte das Kirchenmusik-Referat oder ein dafür eingesetztes Gremium treffen. Vielleicht noch wichtiger ist es, dem Priester und seinem Team mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, sie zu unterstützen.
Ein zweiter Weg zur Kirchenmusiker*in ist das Konservatorium für Kirchenmusik. Einige Diözesen leisten sich diesen notwendigen Luxus. Die Ausbildung zum nebenberuflichen Kirchenmusiker gewinnt immer mehr an Bedeutung. Ich weiß es aus meiner St. Pöltener Zeit: Hier trifft man richtige Kirchenmusikerenthusiasten: Viele junge Musiker*innen, die entzückt sind von den vielen Möglichkeiten - also Dilettanten im wortwörtlichen Sinne, und viele die die Kirchenmusik lieben also Amateure im wortwörtlichen Sinne. Ich verwende diese meist abwertend verwendeten Begriffe absichtlich, und als Kompliment. Es gibt nicht viele kirchliche Initiativen und Institutionen, die so viele junge Menschen binden und anziehen wie die Konservatorien für Kirchenmusik. Eine weitere große Chance für die Kirche!
Ich muss notwendigerweise ein Dilettant und Amateur im oben genannten Sinne sein, wenn ich Kirchenmusik als meinen Beruf wähle und Kirchenmusik studiere. An zwei österreichischen Musikuniversitäten (Graz und Wien) gibt es diese Möglichkeit hoffentlich noch lange. Das Selbstverständnis und das Berufsbild von Kirchenmusiker*innen haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Dem muss ein Kirchenmusikstudium Rechnung tragen. Einige Aspekte seien genannt:
Es genügt heute nicht mehr als hauptberuflicher Kirchenmusiker ein guter Chorleiter zu sein. Es braucht darüber hinaus Kompetenz im Umgang mit Instrumentalisten, Solisten, Orchester und historischen Instrumenten. Es braucht Informiertheit über historische Aufführungspraxis und einen guten Überblick über das Riesenrepertoire. Das alles ist Voraussetzung für zeitgemäße Interpretationen. Es lässt sich erahnen, welch großen Herausforderungen und welch große Verantwortung den Studierenden gegenüber bei den Lehrenden an den Universitäten liegt.
Coda
Denn die größte Chance für die Kirche und die Kirchenmusik ist schlussendlich die Qualität der Ausführenden. Dort wo kirchenmusikalische Arbeit künstlerisch und pastoral hochwertig geleistet wird kann sie gar nicht anders als gute Früchte zu bringen. Daher hüte man sich diese beiden Aspekte gegen einander auszuspielen. Zwei Zitate mögen dies unterstützen: Pius X schreibt: „Die Kirchenmusik muss den Charakter wahrer Kunst besitzen, sonst vermag sie nicht jenen Einfluss auf die Zuhörer auszuüben, den sich die Kirche verspricht.“ und Franz Fleckenstein schreibt: „Die pastorale Ausrichtung und künstlerische Qualität der Kirchenmusik sind keine Gegensätze, sondern die beiden Grundpfeiler ihrer Existenz.“
Ich bin überzeugt eine solche Kirchenmusik ist eine große Chance für die Kirche des dritten Jahrtausends. Dafür gilt es zu Dienen ohne elitäres Gehabe, denn schlussendlich versehen wir unseren kirchenmusikalischen Dienst nicht nur an den Menschen oder an der Kirche oder an uns selber, sondern an IHM. Soli Deo Gloria!
Impulsvortrag gehalten von Otto Kargl am 1. Februar 2025 vor den Besuchern des Kirchenmusiktages der Diözese Graz-Seckau im Augustinum, Graz