Von der ausgestreckten Hand und der Schönheit der Jesusgeschichten
Jesus heilte Kranke, er half den Armen, er wurde gekreuzigt. Jesus ging übers Wasser.
Das sind die markantesten Kennzeichen für Jesus, die Menschen spontan einfallen.
Es sind Merkmale, die seine Außergewöhnlichkeit beschreiben. Sein Gang übers Wasser ist ein beliebtes Motiv für Maler und es befindet sich auf vielen Deckenfresken in Kirchen, die nahe am Meeresufer gebaut sind. Es bietet ebenso Anlass zu ganz grundsätzlichen Diskussionen. Der war halt was Besonderes und hatte übernatürliche Fähigkeiten, sagen die einen. Das ist der beste Beweis, sagen die anderen, dass da viel erdichtet und erfunden wurde.
Als ich vor einem Jahr mit unserer Pfarre eine Israelreise mitmachte, sind wir auch an diesen See Genezareth gekommen und als erstes habe ich dort meine Schuhe ausgezogen und den Gang übers Wasser probiert, was natürlich misslang und ich bis zu den Knien im See versank. Da jedoch am Ufer ein kleiner Hügel war, habe ich mich auf diesen in Schrittstellung gestellt und mich fotografieren lassen und es sah optisch so aus, als würde ich nun auf dem See dahingehen. Diese Handyfoto habe ich sofort meiner Familie geschickt und Ihnen mitgeteilt, dass es gar nicht so schwer ist über bzw. als Fata Morgana über dem Wasser zu schreiten, sie antworteten aber, dass ich nicht so aussähe, wie einer, der anderen die Angst nehmen könnte. Das schien also nur Jesus gelungen zu sein, der über allem zu stehen schien. Und das hatte natürlich etwas Faszinierendes, Beeindruckendes und zugleich Gespenstisches, da konnte ich nicht mithalten. Es hat ihnen die Angst genommen. Unmögliches war ihm möglich!
Das sind die beiden Bildbotschaften der biblischen Wunder-Geschichten.
Beide Botschaften sind wichtig für unser Grundvertrauen, für unsere Haltung und wie wir dem Leben und den Unwettern im Leben begegnen, auch, wie wir in die Zukunft blicken.
Die Schönheit einer solchen Geschichte liegt gerade nicht in ihrer logischen rationalen Nachvollziehbarkeit und schon gar in ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit und Verwertbarkeit, sondern in ihrem unlogisch visionären Gehalt. Jesus unterfüttert die Vision von einem angstfreien Leben in dem er sie anreicherte, mit seiner unmissverständlichen Haltung, seinem parteilichen Auftreten und seinem entschiedenen Handeln. Eine Orientierung an dieser jesuanischen Vision des menschlichen Miteinanders brauchen wir in einer beängstigenden, Angst machenden, vielfach entzweiten und entsolidarisierten Welt dringender denn je.
Eine andere Schönheit dieser Jesusgeschichte ist, dass sie die unumstößliche Gewissheit vermittelt: Du brauchst dich nicht zu fürchten.
Diese Gewissheit braucht jedes Kind, jeder Mensch – eigentlich. Wir leben in unruhigen Zeiten. Es gibt genug was wir aufzählen könnten, warum die Angst gute Gründe hat.
Angst um die Zukunft – auch der Kinder. Angst davor, dass Ängste geschürt werden und dass mit der Angst – mit vermeintlicher Angst – Stimmung und Politik gemacht wird, Angst vor einem Wiederaufflammen der Corona-Pandemie in unserem Land. Umso wichtiger ist es da, dass gerade Kinder und Jugendliche mit einem Grundvertrauen aufwachsen, in ihre Zukunft hinein. Dieses Grundvertrauen bekommen sie aus verschiedenen Quellen, von den Eltern, Paten, Großeltern. Und - aus den biblischen Geschichten. Aus Quellen, die einen Jesus sichtbar machen, der ruhig und gelassen übers Wasser geht, auch wenn es dem aufgeklärten rational denkenden erwachsenen Menschenverstand als totaler Quatsch erscheint.
Nun erzählt unsere Geschichte ja auch vom Scheitern, vom sinkenden Vertrauen, von der Angst, die einem gleichsam den Boden unter den Füssen wegzieht und einen verunsichert.
Auch in der Sprechstunde unseres Vinzenzvereins in Christkönig erlebe ich immer wieder und gerade jetzt in den Nachwirkungen des Restriktionsmaßnahmen der Bundesregierung und dem Abebben der staatlichen Förderungen, dass es Menschen durch Jobverlust, Scheidung oder Krankheit eines Angehörigen regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen hat und eine große Angst besteht zu versinken, d.h die künftige Lebensgestaltung nicht wieder auf die Oberfläche zu bringen. Wir können nicht immer bis ins Boot hinein zurück helfen, aber wir können die meist finanzielle Unterstützungshand entgegenstrecken, damit die nächsten Schritte wieder möglich sind. Wir feiern heuer 150 Jahre Vinzenzvereine in der Steiermark, wozu Herr Dr. Ruhri mit mir zusammen eine Festschrift erstellen wird. Es sind bereits 61 Vereine, die mit 1450 ehrenamtlich Tätigen versuchen Menschen zu helfen, die zuvor oder gar nie auf sicherem Boden standen und Zahl der Armutsgefährdeten und in absoluter Armut lebenden Menschen sich von Jahr zu Jahr, eine halbe Million sind es bereits in Österreich, fast doppelt so viele, wie Graz Einwohner aufweist.
Petrus war sich auch zunächst sicher. Er stieg aus dem Boot und ging los.
Er hatte Vertrauen, ja, Gewissheit. Doch dann verlor er den Boden unter den Füßen und sank ab. Einbrüche, Verunsicherung, die Gefahr den Halt zu verlieren, das gibt’s, mehr als sichtbar wird. Wir sind keine Maschinen, jedem von uns kann das passieren.
Das, was dieser Jesus von Nazareth verkörpert, gelebt und vertreten hat, womit er zutiefst beeindruckt hat, das ist uns – so ist mein Eindruck - verloren gegangen
Und wir merken: Wir vermissen es! Dieses: „Jeder-ist-sich-selbst-der-Nächste“ tut uns nicht gut. Es entsteht Misstrauen, Skepsis, Abgrenzung, Ausgrenzung, Aggression, Rücksichtslosigkeit.
Wir sind in Zweifel geraten, ob die Ideologie: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ im wahrsten Sinne des Wortes tragfähig ist, oder ob wir damit nicht eher untergeh’n?
Petrus konnte sich auf Jesus verlassen. Wir sagen heute: Er konnte sich auf seine Empathie, seine Solidarität, auf seine Achtsamkeit verlassen. Und, dass er ihm Halt geben würde. Petrus sinkt, weil er verunsichert wurde, weil er ins Zweifeln geraten ist. Aber: Petrus geht nicht unter.
Weil er Jesus nicht egal ist. Weil einer die Hand austreckt. Diese zunächst verrückt, unlogisch erscheinende Geschichte macht sichtbar: Wir sind untereinander auf ausgestreckte Hände angewiesen, alle. Nicht nur auf die ausgetreckten Hände von Profis. Und: Wir sind auf solche Geschichten angewiesen. Ich meine sogar sehr. Wieder mehr. Geschichten, die uns sensibilisieren, die ermutigen, Verunsicherung und Angst gerade nicht zu kaschieren, sondern das Einsinken wahrzunehmen, gegenseitig Achtsamkeit einzuüben und Halt zu geben. Solche Geschichten machen ein Vorbild sichtbar, erkennbar. Vorbilder geben Halt. Sie prägen die eigene Haltung und geben Orientierung, für das, was wichtig ist, für unser Zusammenleben – im Kleinen wie im Großen. Die Geschichte macht sichtbar: Du kannst den Boden unter den Füßen verlieren. Du kannst aber auch an einer ausgestreckten Hand Halt finden. Du kannst selbst deine Hand ausstrecken und Halt geben.
Geht hin, sagt Jesus, erzählt davon und tut desgleichen. Amen